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Die Jugend ist nun kaum mehr zu retten

Jedenfalls nicht die, die in NRW in die 8. Klassen der Gymnasien geht. Denn dort unterrichtet man jetzt u.a. mit der dokumentarischen Abbildung meines kleinen Thronfolger-Sonetts aus 2013.

Merke: Tu einmal im Leben etwas, um das deine Deutschlehrer dich niemals gebeten hätten!

Deutschbuch Gymnasium 8. Schuljahr. Schülerbuch Nordrhein-Westfalen
Herausgeber: Schurf, Bernd; Wagener, Andrea
Cornelsen Verlag
ISBN-13: 9783060620265

Die Fünf-Minuten-Terrine

Man zeigt, wie einer lächelnd sich rasiert
und wie man kleine Kätzchen sicher trägt.
Ich seh, wie man ein Alien gebiert
und wie ein Lkw sich überschlägt.

Es folgt ein Kurzporträt vom Wiedehopf.
Ich kriege angesagt, was einer isst.
Es gießt sich jemand Wasser übern Kopf.
Alsdann beweist mir wer: Er ist Nudist.

Ein Mann zeigt, wie viel Liegestütz er kann.
Im Anschluss werd ich Zeuge einer Tat.
Danach fragt eine einen aus. Und dann
macht eine junge Frau sehr oft Spagat.

Von einem Künstler schreibt man, er sei tot.
Dann weint da wer: Das hat doch keinen Sinn.
Und eine nimmt ein Tuch ab trotz Verbot.
Ein Wal schwimmt her und dann nicht wieder hin.

Ich sehe in Slow Motion Vögel ziehn
und die acht Schönsten unterm Himmelszelt.
Es folgt noch irgendwas mit Trampolin
und wie da wer ne lange Rede hält.

Ein Mann mit Haaren im Gesicht verliert.
Ein andrer lacht und singt dabei und tanzt.
Ich seh, wie man was Großes bombardiert
und jemand in Marokko etwas pflanzt.

Man zeigt mir Dinge im Aquarium,
sodann weht knallgelb Haar vorm Weißen Haus.
Es folgt ein helles Rauschen mit Gebrumm.
Für irgendwas kriegt irgendwer Applaus.

Dann ist mein Social Network wieder aus.

gibt’s auch hier bei der taz

Schneeballschlacht mit Hefekloß

Seht! Er spinnt sein Liebesgarn.
Hört! Er raspelt süßes Holz.
Kim Jong Un will Schlitten fahrn,
sehnt sich nach dem Glanz des Golds.

Packt sich launig seine Jubel-
koreaner ins Gepäck,
träumt schon vom Olympia-Trubel,
fantasiert sich hin und weg:

Saust sehr elegant von Schanzen,
knallt mit „Peng!“ beim Biathlon,
hebt sich selbst beim Schlittschuhtanzen,
füllt allein das Stadion.

Patscht im Neuschnee dicke Engel,
albert durch den Eiskanal,
brunzt dann gelb auf weiß, der Bengel:
Kim ist Schneemanngeneral!

Braust als feiste Eislawine
glucksend durch die Winternacht,
kräht im Tal mit Schmunzelmiene:
„Atomare Schneeballschlacht!“

– gibts auch mit schickem Foto hier bei der taz

Im Café Sommerende

Die Hitze knäckebrotet knisternd leis vom Himmel.
Propeller schrauben röhrend sich durch weiße Sahne.
Der Sommer summt ein letztes warmes mal. Ich ahne:
Das kann jetzt dauern bis zum nächsten Eiscafé-Gewimmel.

Vier Damen führen stumm die Kopftuchsammlung aus.
Zwei Kinder werfen Gabelstapler durch die Luft.
Dem Sommersterben eignet so ein süßer Duft.
Kurz tritt sogar der Falschparkmelderentner aus dem Haus.

Melonenbecher werden letztmalig mit Aaah! begrüßt:
Wer soll das alles essen?! So ein dickes Ding!
Synapsen platzen unter Kälteschock. Ein King,
der sich den letzten schönen Tag mit diesem Trumm versüßt.

Am Nebentischchen schießt mit frischer Föhnfrisur
ein frisches Paar sich Selfies mit dem Telefon.
Der Kellner macht ein klares Zeichen: Komme schon!
Danach verliert sich wie gewöhnlich von ihm jede Spur.

Drei Herren leiden einmal noch an breitem Gang
mit starkem Damenblick-Befall. Und obendrein:
Drei Sonnenbrillen helfen, Cary Grant zu sein,
an diesem letzten Strahletag vorm feuchten Übergang.

Nun also Auszug aus dem Sommerparadies.
Ein letztes Mal noch zahlen und dann ist es aus!
Ich schlendere espressoschwer besorgt nach Haus.
Wie schaff ich bloß den Herbst, der ist so langweilig und fies,

so leer, bedeutungslos … doch Rettung steht vor meinem Haus.
Ein Tisch. Ein Salafist hält mich für Augustinus: Lies!

Herbst, auf ein Wort

Die Zeit verrinnt. Schon naht uns der Oktober.
Und du, der du den Sommer jetzt beerbst
– Ja, genau du, Schwachmaten-König Herbst! –
machst uns das Leben sinnlos und zinnober.

So würdelos, wie du die Welt verfärbst,
den braunen Kehricht reinträgst wie ein Ober –
dein ganzes Indian-Summer-Rumgekober
ist echt zum Kotzen, Alter! Ekelhaft und derbst.

Kein Wunder, dass du keine Freunde hast.
Wie Peter Altmaier bleibst du alleine
und niemand spielt mit dir. Herbst, aufgepasst:

Nimm schleunigst deine modrig-feuchten Beine
von meinem Küchentisch. Du bist kein Gast!
Vergiss das nicht. Verpiss dich und zieh Leine.

Kurzmitteilung

Eines ist wohl sicher und ganz klar:
Nichts wird wieder so wie’s gestern war.
Gestern war es hell und scharf und licht.
So wie gestern wird es morgen nicht.

Morgen wird vielleicht so manches scharf.
Alles jedenfalls, was scharf sein darf.
Vieles wird auch licht, eventuell.
Aber es wird lange nicht so hell.

Ganz egal, was man euch auch verspricht:
So wie gestern wird es morgen nicht.
Kann man nichts dran ändern, tut mir leid.
Mehr zu sagen bleibt jetzt keine Zeit.

Das Internet der Dinge

Der Ofen recherchiert und kocht von ganz alleine
zur Freude jeder Hausfrau wie ein junger Gott.
Das Auto fährt sich algorithmisch selbst zu Schrott.
Die Heizung fühlt und weiß Bescheid: Mir friern die Beine.

Die Waschmaschine quasselt munter mit den Socken.
Der Kühlschrank macht ein cooles Selfie und bestellt.
Die Bohrmaschine funkt per Kabel in die Welt.
Der Stromrasierer kann summbrummend drahtlos rocken.

Beziehungsreich ist heuer unser Digital-Gedöns
und mannigfaltig stramm vernetzt sind Welt und Haus.
Der Mixer knipst mit einer Nachricht Twitter aus,
das AKW schmilzt dank der Spam-Mail eines Föns.

Per WhatsApp schwärzt der Toaster die Ergebnisse von Google.
Ganz Netflix steht dank Tante Trudis Trockenhaube still
und sendet nicht – weil Trockenhaubes starker Arm es will.
Bei YouTube gibt man sich vorauseilend die Kugel.

Doch sieh: Es ist auch immer Licht, wo so viel Schatten!
Nicht länger wird der Mensch vom World Wide Web gebraucht.
Er wird vom Fortschritt in der E-Pipe weggeraucht
und also reduziert auf Klicken und Begatten.

Die Wahrheit schneidet kalt mit scharfer Klinge:
Das Internet ist nicht mehr länger deins!
Auch ist es nicht – und war es niemals – meins.
Es ist ab jetzt das Internet der Dinge.