Archiv der Kategorie: Geschrieben

A Day in the Life

Der Junge, der die Taube jagt.
Das Mädchen, das am Buchsbaum nagt.
Der Vater, der die Mutter fragt:
Hab ich Dir das nicht gleich gesagt?

Der Junge wird mal Jägersmann,
das Mädchen Gärtner irgendwann.
Und Du wirst meine Frau, und dann
werd ich auch gern Dein Ehemann.

Da haben alle sehr gelacht
und sich in’s Schwimmbad aufgemacht.
Erst sehr viel später, in der Nacht,
hat man sich dauerhaft verkracht.

DIY

Regel 1: Gedicht ist gut,
wenn es sich schön reimen tut.

Regel 2: Es ist Gedicht,
wenn es Verse hat. Sonst nicht.

Regel 3: Ob Hebung, Senkung –
Kunst liegt in der Selbstbeschränkung.

Regel 4: Was man Dir tu,
reim auch jedem Andren zu.

Regel 5: Wird es Sonett,
kriegst Du alle Frau’n ins Bett.

Regel 6: Verrat ich nicht,
sonst schreibst Du bald auch Gedicht.

Regel 7: Alles klar,
wenn das Thema gut und wahr.

Regel 8: Mach es schön kurz.

Erkenntnis 1977

Ich staune und beginne zu
verstehen, dass Herr Winnetou
kein echter Indianer war.
Er kam vom Kontinent, und zwar

kam er vom Frankenreiche her,
und war dort Angehöriger
von einem Volk namens Bretonen,
die dort in der Bretagne wohnen.

Die reiten niemals nicht auf Pferden.
Es liegt für sie das Glück der Erden
im Käse der Bretonen-Ziege,

So singt man ihnen an der Wiege.
Und außerdem: Sie kennen „Howgh!“
nur als ein schlecht gesprochnes „’Au!“

Sorge

Gott, was ist mit Gott bloß los?!
Früher konnt man auf ihn bauen.
Konnt ihn, wo man wollte, schauen.
Heute: reiner Trauerkloß!

Lebt im Speckgürtel der Städte
ganz allein im Bungalow.
Unschönes Szenario:
zweite Scheidung, Hörgeräte.

Früher eine große Nummer,
sogenanntes höchstes Wesen.
Heute macht er uns nur Kummer.

Gottchen, Gottchen! Sei’s gewesen.
Abgang ohne großen Knall:
statt Himmelreich Betriebsunfall.

Der Größte

Putin baut ganz nah am Wasser.
Castro heult bei jedem Scheiss.
Abbas ebenso, nur nasser.
Mursi, wenn er was nicht weiß.

Papst Franziskus spendet Tränen.
Herr Holland seufzt vor sich hin.
Samaras heult wie Hyänen.
Baracks Träne gilt Berlin.

Erdogan hat Gas im Auge.
Jean-Claude Juncker nässt ein Buch.
Fürst Albert flennt salz’ge Lauge.
Assad schneuzt den Schnauz ins Tuch.

Wettbewerb der Jammerlappen:
Überall und ohne Scheu
hört man Kleenexboxen klappen.
Jeder orientiert sich neu.

Doch von allen Heulesusen
ist der Größte bitte sehr
der, den wir am Wahlkampfbusen
nähren: Candidatus Peer.

Reiner Zufall, ungeplant,
mitten vor den Kameras,
schossen ihm wie nie geahnt
Tränen. Was bedeutet das?

Galt es seiner großen Liebe?
Galt es seiner SPD?
Spürte er vergessne Triebe?
Tat ihm irgendetwas weh?

Nein, er war nur weich geworden.
Männer, folget seiner Spur!
Werdet wie der Peer vom Norden,
hebt die Hand wie er zum Schwur:

Niemals wieder niederträchtig!
Niemals wieder Mann und mächtig!
Niemals wieder große Fresse!
Niemals wieder Interesse

für das Doofe und Gemeine,
für das Weib und nur das Eine!
Jetzt ist nichts mehr, wie es war.
Peer stellt für uns Männer klar:

Wenn das Leben uns eins reindrückt
wird in Zukunft feucht gesteinbrückt.

Das Hans-Gefühl

Gestern war’s, der Hans war grad beim Spülen,
als das plötzlich anfing mit dem „Fühlen“.

Überraschend fühlte Hans sich müd,
So als sei er innerlich verblüht.

Nurmehr spülte Hans mit halber Kraft,
vom Gefühl her fand er’s mangelhaft.

Höhepunkt der Hans’schen Impression:
Gänzlich fehlte ihm die Ambition.

Fühlte sich halb so und halb auch so,
dann warf Hans vor Schreck sich aufs Plumeau.

Innerlich aufs Äußerste erregt
hat der Hans sich still- und flachgelegt.

Doch das ungewohnte Sentiment
hielt ihn schrecklich wach. Nur konsequent

konterte Hans seine Angst-Empfindung
tricky mit Pantoffel-Schleifenbindung.

Das war aber keine Lösung. Kurios!
Hans’ Gefühl war viel zu grenzenlos,

Da half nur noch Zwang: Direkt und brav
boxte Hans sich sorgsam in den Schlaf.

Nach dem Schlummer frisch und quick erwacht,
schlug der Hans dann voller Niedertracht

selbstverteidigend mit schwerem Hieb,
bis vom Feeling nichts mehr übrigblieb.

So hat Hans die Emotion gekühlt,
sich in aller Ruhe leergefühlt,

und dann rasch den Rest vom Spül gespült.

Night and Day

Ich höre manchmal Stimmen in der Nacht.
Und oft geht da ein Luftzug durch den Raum.
Dass ich allein bin, glaube ich mir kaum.
Ich habe manchmal so einen Verdacht.

Es stehen da zwei Teller auf dem Tisch.
Die Zeitung liegt gelesen auf der Bank.
Was macht das Telefon denn da im Schrank?
Dies zweite Stückchen Seife – trügerisch.

Ein Zähneknirschen weckt mich früh um vier.
Der Duft aus kleinen Mulden überrascht.
Ich rauch doch nicht. Wer hat da hingeascht?
Was macht dort dieses Haar? Ist das von mir?

Gefährlich hoch der Rotweinkorkenberg.
Wer hat denn diesen Yoghurt aufgemacht?
Hab ich da etwa grade so gelacht?
Seit wann hab ich nen roten Gartenzwerg?

Ein Summen aus der Wand, wie kann das sein?
Schleicht etwa da ein schlanker Schatten fort?
Was sind denn das für Lichtreflexe dort?
Warum fühl ich mich einsam nicht allein?

Aus der Welt der Bücher

„Aber es darf schon was mit Liebe zu tun haben, oder bestehen da eventuell Abneigungen gegen Liebe?“ So hatte mich die Buchhändlerin grad noch gefragt und war dann mit einem „Ah, das hab ich was für Sie!“ im ersten Stock verschwunden, als ich hinter dem Regal mit den Bestsellern die schöne Frau bemerkte. Hoppla, dachte ich, das ist aber eine schöne Frau! Und steht da wirklich „Harems-Dame“ auf dem Titel des Buches, das sie durchblättert? Harems-Dame – o là là – da stellt man sich doch gern ein bisschen was vor. Und gut sieht sie auch noch aus, die schöne Frau. Ich also rasch mit den Fingern durchs Haar, kurze Mundgeruchskontrolle … hcccchhh … geht noch! – und forschen Schrittes auf sie zu … Stop! – von wegen Harems-Dame: Hannah Arendt! Na, da hätte mir meine Kurzsichtigkeit doch beinah einen banalen, bösen Scherz bereitet.