Archiv für den Monat: Juni 2012

Am Morgen

Die Sonne scheint, der Hafer sticht,
doch ich bin bloß auf Schlaf erpicht.
Mich lockt nicht Leben, nicht Aktion,
mich lockt das Bett, dem ich entfloh’n.

Die Sonne sticht, der Hafer scheint.
Das ist ja sicher gut gemeint,
doch: Schlafwunsch herrscht in meiner Omme.
Du liebes, warmes Bett, ich komme!

Drei Narben: Kinn

1972
Vater schenkte mir die Schuhe,
band sie mir in aller Ruhe
an die Füßlein. »So mein Sohn,
roll mal schön! Du machst das schon!«
Machte ich auch. Ohne Bange
rollte ich zur Wäschestange
knallte kinnwärts mit Krawumm –
Narbe 1. Mein Schädel: Brumm!

1973
Sohn – da wäre ich ein schlechter,
wäre ich nicht auch ein rechter
Hasardeur in Fahrradfragen.
Ließ mich flott hangabwärts tragen,
unten stand mein großer Bruder.
Ich die Hände voll vom Ruder:
»Hallo Bruder!«, Lenker quer –
Narbe 2, na bitte sehr!

1974
»Heilger Geist!« So rief die Mutter,
weil ich mich, als wärs auf Butter,
mit dem Skateboard tüchtig schrägte,
als ich um die Kurve sägte
und dabei den Bordsteinrand
voll verfehlte. Dafür fand
ich gradeaus den Lampenmast –
Kinn voll drauf, die Narbe passt.

Moral
Einmal nähte man das Kinn.
Einmal klebte man es hin.
Einmal wurde es geklammert.
Immer habe ich gejammert.
Dreimal auf auf dieselbe Stelle,
heut noch findet man die Delle.
Soviel Kinderblödigkeit:
Narbige Dreifaltigkeit!

Angekommen

Freunde werden langsam älter.
Und am Tisch, man ahnt es schon
werden die Gespräche kälter.
Nicht mehr geht’s um Mindestlohn,

nicht um Solidaritäten,
nicht um die Gerechtigkeit,
nicht um Abgeordnetendiäten,
nicht um Klassenkampf und Streit.

Nein, es dreht sich mehr um Sachen
wie die Yogastunde, Kerzen,
darum, was die Kinder machen,
dass der Werner was am Herzen,

dass die Küche von IKEA,
das die Hochzeit schön gewesen,
dass der Rolf ein Fraunversteher,
– ja, wir gehn noch zum Chinesen.

Werner spielt jetzt Saxophon?
Zweimal Urlaub muss schon sein!
Und Tatjana, weißt Du schon?
Ja, ich weiß. Will noch wer Wein?

Possierlichkeit und Biedermeier,
hoppsa he! – da sind sie ja.
Lang vergessnes Rumgeeier
um Banales – wunnerbar.

Manifest aus Lyrien

Die Zeit wird knapp. Die Tyrannei
erzwingt jetzt unsren Hilfeschrei:
Dies ist die Manifestation
der lyrischen Opposition.

Wir stellen uns den Diktatoren
der schlappen Verse. Auf die Ohren
bekommen Grünbein es und Grass.
Weil sie nicht still sind, setzt es was.

Mit Stanze, Haiku und Metapher
geht’s aufrecht gegen die Erschaffer
von schwiemeligem Sprachenmuff:
Reim-Pumpgun hoch – und piff-paff-puff!

Doch sind wir arg unter Beschuss.
Wenn niemand hilft, ist hier bald Schluss.
Reimlexika für frische Lyrik
sind fast verbraucht. Schon reimt sich’s schwyrik.

Wir rufen Dich, Du freie Welt:
Schickt uns nicht Waffen, schickt nicht Geld!
Wir brauchen kein UN-Mandat,
Wir brauchen Lyrik-Destillat!

Sendet uns Jamben und Trochäen,
wir müssen Schüttelreime säen.
Schickt von den Limericks die schnellen –
das hilft uns lyrischen Rebellen.

Auch fehlt’s im Waffenarsenal
an Distichon und Madrigal.
Wir reimen schon auf kleiner Flamme
und brauchen Aufruhr-Epigramme.

Selbst Klapphornvers und Minnesang
eignen sich gut zum Waffengang.
Im Häuserkampf hilft die Ballade
und die Sonette-Kanonade.

So werfen wir gegen das Böse
uns reimend in das Kampfgetöse
und nehmen auf uns die Martyrien.
Wir kämpfen für ein freies Lyrien.