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Wehmütiges Glück
Das sind zwei scharfe Schwestern: Stereo und Mono.
Sie leben alle beide bei mir in meinem Phono.
Mal lausche ich der einen, mal höre ich die zweite.
Und jede Schwester zeigt sich dann von der besten Seite.
Stereo ist dramatisch. Viel größer – und auch runder.
Wenn sie ganz um mich rum ist, dann ist es wie ein Wunder.
Mono ist hingegen sehr viel direkter, klarer.
Sie ist zwar sehr zerbrechlich, doch geradeaus und wahrer.
Mit beiden bin ich glücklich. Nie kann es schöner sein
Und doch ist da ein Schatten, der liegt über uns drei’n.
Denn wie ich sie auch bitte, eins machen sie nicht mit.
So sehr ich es auch wünsche: Nie machen wir’s zu dritt.
Nur eine von den beiden, ob Stereo, ob Mono,
will jeweils mich umschwärmen. Nie tun sie’s unisono.
Sie sind da kategorisch. Und kommen separat
alleine stets zu mir vor meinen HiFi-Apparat
Fließt mir auch eine Träne – ich weiß: es ist all right!
Ich füge mich den Schwestern. Treffe eine nur zur Zeit.
Denn bei allem Verlangen nach einem Dreier-Stück
weiß ich doch um mein Mono- und um mein Stereo-Glück.
Cinematographische Amnesie
Ich weiß lediglich: Es war die Berlinale im Jahr 2001. Das kann ich aus den Notizen noch herauslesen. Aber kann mir irgendjemand sagen, was das bitteschön für ein Film gewesen sein soll, den ich auf einer orangefarbenen Karteikarte mit diesen drei Sätzen zusammengefasst habe: „Die Musik stöhnt. Hüte Dich vor bärtigen Frauen! Jesus, jemand liegt auf mir.“ Hat ihn vielleicht jemand auf DVD?
To begin at the beginning:
Sein Großvater mütterlicherseits hatte in seinem Leben jede Menge Versprechungen gemacht und alle gehalten. Als gesicherte Versprechen, in der Familiengeschichte fest verankert, gelten die folgenden:
Das Eheversprechen, das er seiner Verlobten 1932 gab.
Die vielen, oftmals wiederholten Versprechen, zurückzukommen, ihre Liebe und die Familie nicht zu verraten, wenn er losfuhr als Reisender in Kurzwaren und Holt-Zwieback.
Das Versprechen zur SS, sein Eid, der ihn sechs Jahre binden sollte.
Danach die Versprechen den Frauen gegenüber: zunächst der einen, auf deren Hof er nach dem Krieg unterkam für ein paar Jahreszeiten und dann das zweite, grundsätzliche, gegenüber seiner Frau: zurückzukehren zu ihr und den Kindern, was dann noch einige Monate dauern sollte.
Das Versprechen, das er sich selbst gab: nochmal von vorne anzufangen, nach Krieg, nach SS, nach den Verbrechen, dem Entkommen, nach dem Fortsein und der Abwesenheit von allem anderen.
Das Versprechen an die Kollegen bei jedem neuen Streik im neuen Beruf: Nicht mit uns, Genossinnen und Genossen.
Die Versprechen gegenüber jedem in seiner Nähe: sich nicht mehr zu erinnern und kein Wort zu verlieren über das was gewesen war, ja nicht mal einen winzigen Raum zu lassen für die Vorstellung davon, er sei Teil gewesen von all dem.
Das Versprechen an sein Publikum, wenn er auftrat als Conferencier und Clown nach dem Krieg, nicht mehr als Jongleur und Artist wie noch vor Jahren, weil seine Hände nicht mehr ruhig bleiben konnten.
Sein Großvater mütterlicherseits starb kurz nach dem Tod der Großmutter. Vielleicht war auch dies die Einlösung eines stillen Versprechens, vielleicht hatte er sie nicht so lang warten lassen wollen. Er war nach ihrem Tod nicht in der Lage, sich selbst Kaffee zu machen. Er machte keine Witze mehr gegenüber seinen Enkeln und vergrub sich hinter einer elektrischen Schreibmaschine, die er nicht mehr anstellte. Er aß wenig, erntete nicht das Obst von den Bäumen und schwatzte nicht mehr mit den Nachbarn. Er verfiel schnell und folgte seiner verstorbenen Frau bald nach. Er wollte die Kaffeemaschine einfach nicht begreifen.
Ha ha ha aus dem Elfenbeinturm
Sehr oft denk ich: Ich lass mich treiben
wohin’s mich treibt. Aufs Gradewohl.
Für heute gilt: Ich lass es bleiben.
Die Welt scheint mir dafür zu hohl.
Tiere und Auszeichnungen #2
Da sinkt die schärfst Maus gleich hin,
wenn ich Nobelpreisträger bin.
In Restaurationen #04
Da sitzen drei. Sie hat ein Kind im Arm, rechts uns links neben ihr zwei Herren. Sie unterhalten sich nicht, kaum, wenn: nur leise. Der rechte Herr schaut oft zum Kind, als gehöre es zu ihm. Der linke sitzt dabei wie zufällig.
Die Senior-Bedienung latscht sich schon seit fünfundzwanzig Jahren hier die Hacken ab, eine Mischung aus Gereiztheit und Freude, aus Förmlichkeit und lautem »Du!« aber immer: »Wenn ich schonmal bei Dir abkassieren dürfte, das macht dann bitte neun Euro dreißig, danke, scheiße, jeden Abend das selbe.«
Am Tisch nebenan eine junge Frau, die Dinge ins Notizbuch schreibt und zeichnet. Große eckige Buchstaben schreibt sie von einem DIN A4 Zettel ab.
Der alte offiziersähnliche Mann, der aufsteht, seinen gedeckten Mantel überzieht, dem befreundeten Paar kurz zunickt, aus dem Fenster schauend: „Ich möchte Folgendes feststellen: Die Schneeflocken sind bereits größer geworden.«
Das Paar am Frühstücksnebentisch: Er ein dicklich großer alter Herr, eine schlechte Schremp-Kopie zweiter Klasse, Sie eine deutlich radebrechende kurzhaarige Begleiterin, einer leicht verbogenen Dunja Reiter ähnlichen. Er spricht über die Zeitung hinweg die Wort mit Bedeutung: »Der Himmel hat AUCH einen Reißverschluß. Na, der wird AUCH noch aufgezogen, der Reißverschluß.«, und sie sagt erötend »Hihihi, Reißverschluß«.
Die beiden Frauen, Schwestern oder was, die sich nichts zu erzählen haben hier im Eiscafé, und als der Kellner kommt hebt die eine den Kopf aus der Eiskarte: »Also ich nehm den Karneval in Rio«.
Die Sehnsucht ist ein zähes Tier
Panne in den Städten
Be MEGA
„Be MEGA“ steht auf der Schnalle desTurnschuhs einer sehr kleinen Frau.