Die Welt wird ausgeschritten.
Sie ist in ihren Mitten
besonders zart und schön;
ist an den Rändern leise.
Im Mittelpunkt der Kreise
kann ich dein Antlitz sehn.
Die Welt wird ausgeschritten.
Sie ist in ihren Mitten
besonders zart und schön;
ist an den Rändern leise.
Im Mittelpunkt der Kreise
kann ich dein Antlitz sehn.
Freunde werden langsam älter.
Und am Tisch, man ahnt es schon
werden die Gespräche kälter.
Nicht mehr geht’s um Mindestlohn,
nicht um Solidaritäten,
nicht um die Gerechtigkeit,
nicht um Abgeordnetendiäten,
nicht um Klassenkampf und Streit.
Nein, es dreht sich mehr um Sachen
wie die Yogastunde, Kerzen,
darum, was die Kinder machen,
dass der Werner was am Herzen,
dass die Küche von IKEA,
das die Hochzeit schön gewesen,
dass der Rolf ein Fraunversteher,
– ja, wir gehn noch zum Chinesen.
Werner spielt jetzt Saxophon?
Zweimal Urlaub muss schon sein!
Und Tatjana, weißt Du schon?
Ja, ich weiß. Will noch wer Wein?
Possierlichkeit und Biedermeier,
hoppsa he! – da sind sie ja.
Lang vergessnes Rumgeeier
um Banales – wunnerbar.
Die Zeit wird knapp. Die Tyrannei
erzwingt jetzt unsren Hilfeschrei:
Dies ist die Manifestation
der lyrischen Opposition.
Wir stellen uns den Diktatoren
der schlappen Verse. Auf die Ohren
bekommen Grünbein es und Grass.
Weil sie nicht still sind, setzt es was.
Mit Stanze, Haiku und Metapher
geht’s aufrecht gegen die Erschaffer
von schwiemeligem Sprachenmuff:
Reim-Pumpgun hoch – und piff-paff-puff!
Doch sind wir arg unter Beschuss.
Wenn niemand hilft, ist hier bald Schluss.
Reimlexika für frische Lyrik
sind fast verbraucht. Schon reimt sich’s schwyrik.
Wir rufen Dich, Du freie Welt:
Schickt uns nicht Waffen, schickt nicht Geld!
Wir brauchen kein UN-Mandat,
Wir brauchen Lyrik-Destillat!
Sendet uns Jamben und Trochäen,
wir müssen Schüttelreime säen.
Schickt von den Limericks die schnellen –
das hilft uns lyrischen Rebellen.
Auch fehlt’s im Waffenarsenal
an Distichon und Madrigal.
Wir reimen schon auf kleiner Flamme
und brauchen Aufruhr-Epigramme.
Selbst Klapphornvers und Minnesang
eignen sich gut zum Waffengang.
Im Häuserkampf hilft die Ballade
und die Sonette-Kanonade.
So werfen wir gegen das Böse
uns reimend in das Kampfgetöse
und nehmen auf uns die Martyrien.
Wir kämpfen für ein freies Lyrien.
(aus gegebenem Anlass in der korrekten Fassung)
Schau mich nicht an mit diesem Blick! Grade ihr Katzen
solltet doch wissen, wie es ist, sich zu verlieben,
wie man beim Wein sitzt nachts, bis morgens früh um sieben,
wie man verquere Dinge lallt in tief verguckte Fratzen.
Grade ihr Katzen solltet wissen, wie das ist:
Auf warmen Dachterassen schwerst verliebt zu sitzen.
Und dass das geht: beim kleinsten Fastberühren schwitzen,
weil man es als Beweis nimmt für: Es ist das, was es ist.
Wer, wenn nicht ihr, ihr Löwen, Jaguare, Tiger,
weiß, wie das ist: Im Gegenüber zu versinken
mit Krallen und mit Zähnen – wie in junge Finken.
Schön sanft sein und trotzdem ein Krieger.
Du putzt den Bart und tust, als ob du gar nichts willst:
Der Nacht-Genießer schweigt, liegt da mit einem Schnurren.
Das tu ich auch jetzt – gern und ohne Murren
geh ich ins Bett und bin mucksmäuschenstillst.
Es ist im Wirtshaus »Heilger Geist«
die Stube voll, kein Stuhl verwaist.
Ganz schön was los! Es brennt die Luft!
Wer hier nicht mittrinkt, ist ein Schuft.
Deshalb ist Judas auch nicht da.
Nach 50 Tagen, das war klar,
trifft sich zum feuchten Totenfest
ein Elferschock Apostelrest.
Es ist schon spät. Die zwölfte Runde
zischt Petrus weg. Jetzt ist die Stunde,
dass er sich aufrafft stante pede
volltrunken zur Gedächtnis-Rede:
»Schon siebn Wochn isses her.
Erst war er tot – Ihr wißt schon wer –
dann wieder nich. Wir … hicks! … warn traurich …
Ganz unter uns: Ich fand das schaurich.
Doch trotzdem: Nach … hicks! … Väter Sitte
versaufen wir sein Fell. Und bitte:
wir wolln, nachdem wir … hicks! … gedenken,
der Leber keine Gnade schenken!«
Er hebt sein Glas. »Prost! Auf den … Chif!
Äääh … Chaf! Momentchen … Chof? Chuf? Chif!«
Peinliche Pause. Alle gucken.
Er erntet zehnfach Schulterzucken.
Wen meint er? Sie verstehn ihn nicht.
Plötzlich ein Sturm, es blitzt ein Licht.
Ein jeder sieht sich ängstlich an
und Geist schießt ein in alle Mann.
Volltreffer Petrus: Der steht stramm
und brüllt »Heiliger Bim und Bam!«
Dann, grade wie aus dem eff-eff,
sagt nüchtern er: »Prost auf den Chef!«
Der Chef! Na klar! Der ganze Saal
flippt aus wie einst beim Abendmahl.
Man küsst sich, lacht, es wird geweint:
Der Petrus hat den Chef gemeint!
»Chef!« kreischen alle durcheinander
und Petrus ruft ins Miteinander:
»Vergesst nicht: Was Ihr dem Geringsten …
Ach, Scheiss drauf – jetzt ist erstmal Pfingsten!«
Großmutter war vor allem berühmt für eine Eigenschaft: Sonntag für Sonntag konnte sie die komplette dreissigköpfige Verwandtschaft in einer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung exakt so verteilen, dass wir wirkten wie die komplette dreissigköpfige Verwandtschaft in einer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung.
(ein zweiter Versuch, mit zusätzlicher Variante)
»Bésame!« klangs von der Gondel.
»Bésame!« sang der Tenor.
»Bésame!« sang dann auch ich.
Doch Freund T. ist jetzt davor:
»Bésame!« will er nicht singen.
»Bésame!« will er nicht hörn.
»Bésame!« darf ich nicht summen.
Der Schlagermist würd’ ihn nur störn.
»Bésame!« Romantikmüll!
»Bésame!« Das ist doch Scheiß!!
»Bésame!« Jetzt hör halt auf!!!
Auf der Stirn steht kalter Schweiß.
»Bésa…!« Unter Folter nicht!!
Tät’s nicht singen, wenn ich müsst!!!
Tja, wenn er partout nicht will –
bleibt er eben ungeküsst.
Der Junge war sechs und hinter ihm schien die Sonne. Die Sonne schien so hell, dass alle Lichter und alle hellen Stellen um ihn herum überbelichtet waren und weiß. Der Junge war sechs und die Sonne schien wie in einem überbelichteten Film, die Kamera direkt gegen das Licht, aber hier was das anders: Der Junge war sechs und die Sonne stand hinter ihm und war heiß und der Junge war sechs und schaute nicht direkt gegen das Licht, er schaute mit dem Licht, und vor ihm das Helle war weiß und das Dunkle war schwarz.
Links der Balkon vom Erdgeschoß, rechts der Hügel und die Wiese und dazwischen der Junge war sechs und stand auf den kleinen quadratischen Steinen, die vor ihm einen Weg markierten in anderen Abständen als denen seiner Schritte und um ihn herum überbelichtete die Sonne die Welt.
Der Junge war sechs und sein Schatten fiel vor ihm auf den Boden das Gras und die Steine, und der Schatten war schwarz wie der Schatten der Grashalme wie der Schatten der flachen Steinplatten auf denen er stand und der Junge war sechs und er wollte so sein wie sein Bruder, sonst war es nicht mehr auszuhalten. Der Junge war sechs und jetzt und hier war die Zeit, etwas zu tun und er würde die Sache nun selbst in die Hand nehmen.
Der Junge war sechs und er stand in der überbelichteten Welt und vor ihm lagen alle Schatten und hinter ihm brannte die Sonne in seinen Nacken und es war heiß und hell und der Schweiß rann aus seinen Haaren seinen Hals herab und seine Brust wurde feucht und sein T-Shirt färbte sich dunkel. Und der Junge war sechs und er war allein zwischen Wiese und Balkon und er ging und er ging und jetzt begann er die Sache selbst in die Hand zu nehmen und zum ersten Mal betrachtete er aufmerksam seine Hand, die einen dunklen Schatten auf das Gras legte, er betrachtete seine Finger und zum ersten Mal nahm er einen Finger in den Mund und er nagte an seinem Finger, an seinem Fingernagel, er nagte und biß und in der überbelichteten Welt riß der Junge war sechs einen Nagel vom Finger und der Schmerz kam wie ein Blitz zusammen mit der Überraschung: wie leicht das geht und von jetzt an würde alles anders und nichts mehr so dunkel und schlimm und alles so hell und so gut wann immer er will.
Da ist diese Frau, mit der ich rumbändel.
Wir fahren gemeinsam bald in die Provence.
Im Frühsommer. Denn dann blüht dort der Lavendel.
Und wir blühn dann auch. Ach, was für eine Chance!
Da ist diese Frau, die macht mich betrunken.
Sie lacht mir und zwinkert mir zu als Avance.
Wenn wir uns berühren, dann schlagen die Funken.
Berührn wir uns also! Scheiß auf Contenance!
Da ist diese Frau, in die ich verliebt bin.
Ganz locker und leicht und mit viel Nonchalance.
Und weil ich bei ihr ja genauso beliebt bin,
ist dieses Verliebtsein mir wie Renaissance
von allem, was gut ist und schön und auch wahr,
in fast jeder Hinsicht, fast jeder Nuance.
So bleibt mir nur eins noch zu sagen, und zwar:
Da ist diese Frau – und ich schreib mich in Trance.
Wenn je mir Leben Gutes präsentierte;
Wenn Sehnsucht je mich stark gemacht;
Wenn ich was Schönes je gedacht;
Wenn jemals ich ins Licht spazierte;
Wenn mir je schwindlig war vor Pracht;
Wenn jemals Amor mich umschwirrte;
Wenn flatternd er mich je verwirrte;
Wenn überhaupt ich mich mit Macht
je fragte: Bist Du glücklich heute? Sag!
Dann wohl im Jetzt und auch im Hier.
Dann sicher heut an diesem Tag,
ganz fest und glücklich klar mit mir
und – das ist sicher, ohne Frag,
wie’s Amen in der Kirche – Dir.