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Suisse revisited 01

Brunnen, Zentralschweiz, 29.7.

10.30 Uhr
Der Vierwaldstättersee macht genau beim Örtchen Brunnen einen 90-Grad-Knick. Man kann den See vom Anlegesteg der Schiffahrtsgesellschaft gleichermaßen in beide Abknick-Richtungen überschauen. Überall rote Fahnen. Weiße Kreuze. Noch drei Tage bis Buffalo. Dann ist hier, genau hier in der Zentralschweiz, der quasi Essenz der Schweiz, Nationalfeiertag.
Kleines Hotel, 4. Stock. Blick auf den See und die Alpen gleich morgens beim Aufstehen zwischen den Dächern der Nachbarhäuser.

Humboldtsches Experiment, ein Anfang

Du gabst mir Küsse, die nach Elbe schmeckten,
nach Uckermarker Wiesen, nach dem Oberlauf des Rheins.
Nach Wellen, die an Kieselstränden leckten.
Nach Wellen, unter denen wir zu zweit wie eins
zusammen waren. Wo sich der Stichling nicht und nicht der Wels versteckten.
Du gabst mir Küsse, die nach Elbe schmeckten.

Du hattest Haare die nach Dschungel rochen.
Nach Blättern, umgeworfnen Bäumen, Moos.
So wie Lianen. An den Enden ungebrochen.
So wie Lianen waren Kopf und Schoß,
in dem das Ozelot und auch der Panther tief zur Ruhe sich verkrochen.
Du hattest Haare die nach Dschungel rochen

– ist die größte Freude

Mein lieber Herr Lektor!
Wir teilen uns alles:
Die Wohnung, das Essen.
Venedig wird schön.

Wir fahrn im September.
Beginn ist der fünfte.
Was wird es uns bringen?
Wir werden ja sehn.

Das werden wir trinken:
den Spritz und den Vino,
Martini mit Nüsschen
Und Gin dann und wann.

Das werden wir sehen:
Die Stadt und die Künste,
Kanäle und Grachten.
Da sitzen wir dann.

Ich freue mich riesig
auf Stadt und auf Leute
auf Fahrt und auf Dasein
auf Plätze und Krach.

Ich kanns kaum erwarten:
September soll jetzt sein.
Ich warte und wollte
wir wärn schon da. Ach!

klick … klick … klickklick

Dass ich es mit dem ganzen Copy & Paste zu weit getrieben hatte, bemerkte ich erst, als ich via Google Textstellen meiner eigenen Magisterarbeit in meine Doktorarbeit hineinzukopieren begann. Zunächst war mir das gar nicht aufgefallen, bei all den vielen fremden Buchstaben. Aber dann las ich überrascht meine eigenen Sätze. Die hatte mir irgend so ein Mistkerl geklaut und in seine eigene Arbeit einkopiert, wahrscheinlich via Google, die Sau. Ich begann also nochmal ganz von vorn: Nennt mich Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester …

Vom Anfang mittendrin

Seit 22 Jahren schreibt sie den gleichen verdammten Mist in ihre Notizbücher. Keine Entwicklung. Genaugenommen ist es sogar immer der gleiche Satz. So wie beim Mann in Shining, der auch nicht über „All work and no play makes Jack a dull boy“ hinauskam. Die einzige Veränderung: jetzt in diesem Moment. Sie schreibt „Seit 22 Jahren schreibt sie den gleichen verdammten Mist in ihre Notizbücher“.

Einer muss noch warten

Der Bambus grünt. Die Wäsche trocknet auf der Leine.
Ein Glockenbimmel geht durch meine Stadt.
Wohl dem, der jetzt schon seine Kleine
im Arm und einen Rotwein offen hat.

Dachpappe dampft. Kanarienvögel schnattern.
Stimmengewirr vom Nachbarn, fern vertraut.
Ich will jetzt endlich Liebsschwüre rattern.
Ins Öhrchen meiner süßen kleinen Braut.

Sirenen tuten leise in der Ferne.
Ein Blätterrauschen geht durch meinen Hof.
Ich bin allein – und hätte dich jetzt gerne
schon nah bei mir. Jetzt komm endlich! Wie doof!

Der Bambus schwitzt. Noch immer trocknet Wäsche.
Und Glocken schlagen schon erneut die Zeit.
Von Dir kein Zeichen, nicht mal ’ne Depesche.
Kein Telegramm. Bloß pure Einsamkeit.

Die Schwalbe macht sich schon über mich lustig
und fliegt im Sturzflug dicht über mein Haar.
Wo bleibst Du denn? Bald ist August, ich
brauch Dich noch vorm nächsten Januar.

Die Sonne sinkt. Die Wäsche wird schon wieder feuchter.
Die Nachbarn ziehen die Jalousien vor.
Ich bin geladen wie ein Wetterleuchter.
Wenn du nicht kommst, zerspringt mein Herzmotor.

Die Mücke sticht. Glühwürmchen schalten leis sich ein.
Die Wespen schmatzen tiefer sich ins Holz.
Ich wart nicht weiter. Diese Seelenpein
des Wartens raubt mir meinen ganzen schönen Stolz.

Der Mond geht auf. Schon dunkelt es im ganzen weiten Tal.
Oh, wie ich dieses Warten hasse!
Ich mach mir Wein auf. Jetzt ist’s eh egal.
Moment! Sitz ich nicht auf der richtigen Terasse?

Variante: Lyrisch früh aufgestanden

Immer wieder vergess ich
wer alles schon wach ist
frühmorgens um sieben –
und frisch schon gewaschen.

Ich selbst noch ganz tranig
wie Wodka mit Grashalm
und halb nur im Leben –
ein Stock ohne Hut.

Die Frau dort im Kiosk
verkauft mir den FOCUS
anstelle des SPIEGEL.
„1 EURO.“ „Hier.“ „Danke!“

„Nein, bitte: nicht rollen –
Den SPIEGEL!! Nicht FOCUS!!!!
Den will ich nicht haben.“
„Warum nicht?“ „Nein, nein,

Schon SPIEGEL ist scheisse
Der FOCUS ist Krätze
und halbtot und röchelnd.
Den möchte ich nicht.“

Die Zeit ist aus Gummi.
Sie tränt aus dem Auge.
„Den FOCUS will niemand.
Warum nicht?“ „… schon gut.“