Er kann einfach nicht begreifen, warum sich Ma und Pa immer und immer wieder mit solch großer Leidenschaft dafür interessieren, was die liebe Verwandtschaft so treibt. Wer mit wem und warum und wer krank und wer gestorben ist. Haarklein können sie das besprechen und durchkauen, wieder und wieder, unermüdlich. Wenns nach ihm ginge, konnte die ganze Bagage jetzt und sofort und komplett die Kurze kratzen und ihrem beschissenen Schöpfer gegenübertreten.
Archiv der Kategorie: Geschrieben
Große Romane IX
Mel will eigentlich nicht, dass man ihn Ismael nennt – aber die Leute lassen ihm überhaupt keine Wal.
Liste der neulich Getroffenen
Frau B. (2x)
Frau D. (ständig)
1 Cellomädchen
2 Violinenmädchen
1 Klaviertechniker auf Zelluloid
183 (ca.) DDR-Fanatiker
1 Halbprominenter mit Bildrechte-Problemen
1/2 Spanien
1 sehr alte Ägypterin
2 nette Menschen aus M.
1 Frau, die mit einem umklappenden Regenschirm kämpfte
01 – Nennt mich Banal
Ich weiß: Das klingt jetzt gleich wie so ’ne absolute Standardsituation. Kennt jeder, tausendmal gehört, blablabla. Aber was soll ich tun – so hat’s eben angefangen. Klar, schon Mist wenn’s so langweilig losgeht, aber sind nicht alle Anfänge irgendwie Standard? Immer muss irgend ein Scheiß herhalten, damit’s losgehn kann, total egal, was … ob da erstmal irgendein Ilsebill nachsalzt, oder wir zu Beginn erfahren, dass alle glücklichen Familien einander ähnlich sind, oder irgend ein vollkommen unbekannter Typ im ersten Satz aber schon mal gleich Ismael genannt werden will … Also, nennt mich meinetwegen Banal oder was – aber so fing’s halt an: Ich komme in die Kneipe so wie immer, ist schon was später, es ist warm und der ganze Tag war ruhig und wartete irgendwie nur so auf den Abend. Ich komm alleine, wie oft damals, kein Problem, irgendjemand werde ich schon treffen. Ich steh ein wenig rum, trinke ein zwei Bier und niemand spricht mich an, ein paar Hallos im Vorbeigehen, wie geht’s, und selbst, und dann registriere ich dich draußen auf der Treppe. Deinen Rücken seh ich, deine Korkenzieherhaare, und dein Anblick ist irgendwie ungewohnt, neu, hab dich noch nie gesehen, aber das ist nicht das, was mich aufmerksam werden lässt. Sondern: Ich kann durch die offene Tür zuhören, wie du deinen Freunden irgendwas erzählst, egal, aber du klingst tief und lebendig und leicht kratzig, irgendwie der Hammer. Du erzählst völlig blöd rumlachend von den Studenten, mit denen du dich ein ganzes Wochenende rumgetrieben hast und deine Pointe ist: einer der angehenden Philosophen hat ein Schaf nachgemacht, sagst du, und dann machst du nach wie der das nachgemacht hat. Und als wär das nicht schon affig genug, so ne blöde Pointe – du erzählst das, als passiere es grade in diesem Moment noch einmal und vielleicht tut es das für dich auch und du bist amüsiert und in Flammen und hast dein Herz verloren, und das lässt du deine Leute wissen. Das ist nun wirklich ’ne banale Geschichte denk’ ich und in dem Moment orderst du ein neues Bier und drehst dich um und ich kann erkennen, wie schön du bist und wie hell deine Augen leuchten. Meine Fresse!
Wir kriegen euch alle 01
Er sah wie ein Türsteher aus. Einer aus dem Rockermilieu, ein schwerer großer Junge. Sonnenbrille, Armykäppchen, feste muskulöse Unterarme, auf denen BöhseOnkelz tätowiert stand. Auf beiden, links und rechts. Seine kleine Tochter schob er auf einem Dreirad vor sich her, sie trug Zöpfe und ein hellokitty-Shirt.
Große Romane II
Marcel prustete lauthals vor Lachen, als er sich daran erinnerte, welch linden Duft die Torte hatte, die Madeleine zum Geburtstag der Tante T. gebacken hatte.
Henne und Ei und Henne
Klammer auf, Klammer zu,
erst komm ich und dann kommst Du!
Erst war Adam, dann war Eve,
vor dem Wonder steht der Steve.
Auf das „Bon“ folgt „Appétit“,
nach dem „Immer!“ kommt meist „Nie!“
Erst das Dings und dann der Bums,
nach dem Fall kommt stets ein Rumms!
Dem „Wie schön!“ folgt oft „Egal!“
und dem Fressen die Moral.
Next Exit Tinitus
Vor dem Hause qietscht die Flöte
meines Lieblingsgottes Pan.
Von der Traufe gurrt die Taube
Stund um Stund ohn Unterlaß.
Hinten vom Terassenflügel
fliegt ein Baggerkrach heran.
Kellereinwärts gurgelt leise
irgendwas am Wasserfaß.
In Restaurationen #02
Ich sage dazu nichts mehr, sagte die Frau, bevor sie in der nächsten Viertelstunde soviel dazu sagte, dass wir alle erfuhren, wie angekotzt sie ist von der alten Dame, die dauernd vom Sterben redet, aber immer noch regelmäßig bei der Nachbarin die Wohnung putzt und die unverschämterweise sehr komplizierte Gerichte für Ihren Hund kocht, stell dir vor, erst erschreckt sie alle mit haarsträubenden Geschichten ihrer Krankheit und dem bevorstehenden Tod und dann kommt die doch alle 2 Wochen in den Salon und lässt sich die Haare machen.
Einer quasselt die vor ihm am Tisch sitzende Frau unaufhaltsam voll, selbstgefälliges Salbadern, meine Prüfung, meine Noten, meine Mutter, mein Dies und mein Das, um nach unendlichen Minuten unvermittelt aufzustehen und mit einem letzten Wort das Café zu verlassen.
Ein Mann liest in der „Touren fahren“. Vorhin hat er mit einer vertrauten Person telefoniert, sehr ruhig und ernst. Er komme soeben aus dem Krankenhaus, es gebe ein schmales Zeitfenster, es komme nun darauf an, er sei froh den früheren Zug reserviert zu haben. Wenn er da sei, in etwa zweieinhalb Stunden, benötige er ungefähr eine Dreiviertelstunde, um die Situation und die Aussagen der Fachleute zu erläutern. Dann ist es an uns, eine Entscheidung zu treffen.
In Restaurationen #01
Der Mann, der seinen triefenden Regenschirm mitten im Café ausschüttelt, ist wenig später so undistanziert, sich derart als Dritter an den Zweiertisch neben mich zu setzen, dass wir nun beide nass sind.
Neben mir haben zwei was zu besprechen. Einer mit Manschetten, einer ohne. Der mit Manschetten fordert erstens, zweitens, drittens. Er guckt am Gegenüber vorbei aus dem Fenster. Viertens. Der ohne Manschetten ist geknickt. Er sucht den Blick des anderen und denkt sich eine abzulehnende Alternative nach der anderen aus.
Vertreter. Ihr Leben ist Labern, ihre Welt ist der Wirtshaustisch. Zwei rheinische Arschriesen, die in Kneipenradiolautstärke den Gastraum beschallen: Austern, Weinstöcke, die Stare fallen ein, die Tochter vom verstorbenen Bürgermeister, Renate war mit dem Kleinen im Oktober allein dort, die Esel sind alle tot, ja gut, klar, alles schließt aneinander an, alles gebiert sich aus dem Vorhergesagten, alles ist gleich: gleich laut, gleich unverbunden, gleich langweilig.
Ein amerikanischer Mann erklärt seiner Frau die Speisekarte. Er hat keine Ahnung, was die Worte bedeuten, die er vorliest. Er zuckt mit den Achseln. Mit der Zeit werden Mann und Frau zornig. Sie verstehen nicht. Die Kragen werden enger. Die Luft wird heiß.
Kurz bevor die beiden dem Café den Krieg erklären, mit dem gesamten Arsenal des Verfügbaren, werden sie von der Kellnerin beruhigt, die eine Speisekarte in englischer Sprache bringt. Jetzt aber! Von nun an wird viel gelacht. Die Zivilisation ist ein Café.